Sogenannte „Top10-Liste“ unterläuft die Umsetzung des Tourismuskonzepts

In seiner Märzsitzung hat der Rat der Stadt auf Antrag der WIN@WBV-Fraktion beschlossen, 1.2 Mio. Euro zur Umsetzung von ersten Maßnahmen des Tourismuskonzepts von 2019 im kommenden Haushalt vorzusehen. „Teil des Beschlusses ist ebenfalls die Erarbeitung einer priorisierten Maßnahmenliste, die gemeinsam mit der WTF und den relevanten Verbänden und Organisationen aufgestellt und dem Rat in diesem Sommer zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll“, so Ratsmitglied Olaf Fischer, der auch den Antrag eingebracht hatte.

„Die für den Rat überraschend durch die Verwaltung eingebrachte „Top10-Liste“ ist aus unserer Sicht in dieser Phase kontraproduktiv, wie die öffentliche Diskussion im Nachgang bereits zeigte. Unglücklich ist auch, dass sie den Eindruck einer Beschlusslage in der Öffentlichkeit erweckt hat. Diese Liste kann bestenfalls als weiterer Diskussionsvorschlag dienen.“, so Ratsmitglied Prof. Dr. Uwe Weithöner, der seinerzeit an der Entwicklung des Tourismuskonzepts beteiligt war.

„Anstelle der Auflistung wenig abgestimmter Maßnahmen sollte sich die Verwaltung um die Umsetzung der längst beschlossenen Maßnahmen wie die Museumsschiffe kümmern, insbesondere wenn der Verfall von Fördergeldern droht“, so Weithöner weiter.

Die aktuelle Diskussion zeigt, dass teilweise Stadtteilentwicklung und Tourismusentwicklung verwechselt werden. Ziel des von uns eingebrachten Antrages ist jedoch die Steigerung der touristischen Attraktivität und der Umsätze. „Der Tagestourismus läuft mit aktuell 4,2 Mio. Aufenthaltstagen bereits sehr gut in Wilhelmshaven.“, so Hinrik Dollmann, ausgewiesener Tourismus-Experte und Sprecher des Arbeitskreises Tourismus bei der WIN@WBV. „Es fehlen aber Angebote und Anreize für mehrtägige Aufenthalte im Urlaubstourismus, sowie Campingplatz, Stellplätze für Wohnmobile und zusätzliche Kapazitäten in Beherbergungsbetrieben für junge Leute und Familien beziehungsweise im Luxussegment.“, so Dollmann weiter.

Einigen Maßnahmen der „Top10-Liste“ sind für die touristische Entwicklung und Wertschöpfung wenig interessant und außerdem dem Bauunterhalt zuzuordnen. So muss der Unterhalt der durch GGS verpachteten Gebäude-Infrastruktur am Südstrand auch durch den Eigenbetrieb geleistet werden. 

Bereits beim Bau des Jade-Weser-Port wurde die Errichtung eines Aussichtspunktes mit Turm in der Öffentlichkeit angekündigt. Hier ist zunächst zu klären, wer für dessen Realisierung gegebenenfalls vertraglich in der Pflicht ist.  

Anstelle hoher Investitionen für die Fahrradverleihstation sollte zunächst in einem einjährigen Probebetrieb mit Verleihcontainern an 2-3 Standorten das Marktverhaltens erkundet werden. Diesen Versuch könnte beispielsweise die Wirtschaftsförderung in Zusammenarbeit mit den lokalen Fahrradbetrieben initiieren.

Stichwort Radwegenetz: Jeder Stadtteil hat den Anspruch auf ein gutes Radwegenetz. Dazu gibt es ein beschlossenes Konzept, das zügig und mit Unterstützung von Fördergeldern beispielsweise im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplan (NRVP 3.0) umgesetzt werden muss. Dies ist zwar dem Tourismus dienlich, aber keine Aufgabe im Rahmen der knapp finanzierten Tourismusentwicklung.

Der Banter See sollte aus Sicht der WIN@WBV als Naherholungsbereich und für die Freizeitgestaltung der Wilhelmshavener Bevölkerung konzeptioniert und vorgesehen werden. Hinsichtlich der Weiterentwicklung sollten insbesondere auch jungen Menschen und Familien in den Fokus genommen werden. Dabei sollten die Interessen aller in einen Konsens gebracht werden. Dieser Aufgabe kann und darf sich der Rat als Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger nicht entziehen.

Zusammenfassend bringen es die beiden Tourismusexperten Dollmann und Weithöner auf den Punkt:

Knappes Investitionskapital zur Tourismusförderung eignet sich nicht zur Herstellung von Stadtteilgerechtigkeit, es würde verpuffen und keine Wertschöpfung aus dem Tourismus für die Stadt bringen.
Tourismus lässt sich nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger durchsetzen, letztendlich gilt aber auch: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“


 


03.04.2022